Die vertrackten Säcke

Die vertrackten Säcke

In der Schweiz werden Tragtaschen aus Plastik vorerst nicht eingeschränkt. Weltweit geraten Säcke aus Polyethylen aber immer stärker unter Druck. Wie ökologisch die Alternativen sind, ist allerdings umstritten.

Kunststoff mit Henkeln provoziert UmweltschützerInnen: «Ein Plastiksack wird durchschnittlich nur gerade 25 Minuten benutzt», schimpft der Freiburger CVP-Nationalrat Dominique de Buman. «Seine Herstellung verbraucht Erdöl und benötigt viel Energie, bei seiner Verbrennung wird Dioxin freigesetzt.» Säcke, die im Grünen oder in einem See landen, zersetzen sich erst nach Jahrhunderten und lassen Tiere ersticken. De Buman will deshalb dem Symbol der Wegwerfgesellschaft den Garaus machen. Im Juni unternahm er einen Vorstoss: Der Bundesrat solle «die Verwendung nicht wiederverwendbarer und nicht rezyklierbarer Plastiksäcke im Handel verbieten».

Daraus wird vorerst nichts. In der aktuellen Wintersession wird der Nationalrat die Motion, die 23 weitere Abgeordnete unterzeichnet haben, nicht behandeln. Und vor zwei Wochen beantragte der Bundesrat, die Motion abzulehnen: Ein Verbot wäre «unverhältnismäs-sig». Jedes Jahr fallen in der Schweiz rund 3000 Tonnen an Plastiksäcken an – das entspreche nur «knapp einem halben Prozent» des gesamten Kunststoffverbrauchs, rechnet der Bundesrat vor. Durch bessere Gebäudeisolation liesse sich viel mehr Erdöl einsparen.

Fortschrittliche Entwicklungsländer

Mitte November scheiterten im Berner Grossen Rat zwei ähnliche Motionen. Die Grüne Maria Iannino Gerber unterlag mit ihrem Antrag, die Ökobilanz von Einwegplastiksäcken zu verbessern. Ebenfalls Schiffbruch erlitt die parteilose Monika Barth mit ihrem Vorstoss «Jute statt Plastik!». Sie hatte gefordert, eine Gebühr für Plastiksäcke zu erheben und Alternativen pflanzlicher Herkunft zu fördern. Auch der Berner Regierungsrat begründete seine Ablehnung unter anderem mit Zahlen: Plas-tiksäcke würden «in der Schweiz nur rund zwei Prozent des Kehrichts ausmachen». Zudem würden sie im Müll nahezu vollständig verbrannt. Sein Fazit: Plastiksäcke stellen in der Schweiz «gegenwärtig kein Problem» dar.

Ganz anders ist die Situation in armen Ländern. Dort erzwingen hohe Erdölpreise und Abfallprobleme immer stärker ein Umdenken. Bangladesch etwa hat Plastiktaschen bereits im Jahr 2002 verboten – mit der Begründung, dass die Säcke Abwasserkanäle blockieren und so zu Flutkatastrophen beitragen. Wer auf Sansibar, dem touristischen Eiland im Indischen Ozean, mit einer Plastiktasche erwischt wird, riskiert eine saftige Busse oder gar sechs Monate Haft. Auch in Ruanda und einer Reihe von Nachbarländern sind Säcke aus Plastik verboten, weil sie derart massenhaft in der Gegend herumflogen, dass sie das Pflanzenwachstum zu stören begannen, die Mägen der Rinder verstopften und Brutstätten für Moskitos bildeten.

Im Juni hat auch China dünne Plastiktaschen verboten, deren geringer Nutzwert in keinem Verhältnis zu ihrer Umweltbelastung steht; für dickwandigere Taschen wurde eine Abgabegebühr vorgeschrieben. Und in Frankreich und Italien werden Plastiksäcke mittlerweile ebenfalls mit Zwangsgebühren belegt. In der Schweiz sieht der Bundesrat immerhin ein «Optimierungspotenzial» dort, «wo die Säcke kostenlos an der Kasse aufliegen und damit oft etwas gedankenlos konsumiert werden». Das Bundesamt für Umwelt werde den Detailhandel darauf ansprechen. Ein allgemeines Verbot auch der kleinen Gratisbeutel zum individuellen Abwägen von Gemüse oder Früchten aber, so der Berner Regierungsrat, würde von den KonsumentInnen «kaum verstanden».

Gigantischer Giftteppich

Kein Verständnis für Verbote hat vor allem die Industrie. Die Verkäufer-Innen des biologisch nicht abbaubaren Polyethylens (vgl. Box unten) fühlen sich zu Unrecht verfolgt. So betont die deutsche Kunststofflobby, die Herstellung von Plastiksäcken sei sauber und effizient, und das leichte Material könne «in puncto Beständigkeit, Sicherheit, Hygiene und Umweltfreundlichkeit die strengsten Prüfungen bestehen».–

Besonders aufgeschreckt hat die Kunststoffbranche, dass im vergangenen Jahr mit San Francisco und Oakland erstmals auch Städte in den USA Plastiksäcke verboten haben. Schliesslich entfallen von den schätzungsweise über 500 Milliarden verschweissten Schläuchen aus Polyethylenfolie, die weltweit pro Jahr verbraucht werden, über 80 Milliarden auf die Vereinigten Staaten. Dieser Markt in der Grösse von rund vier Milliarden US-Dollar scheint nun gefährdet. Der Stadtrat von San Francisco erklärte eine Recyclingselbstverpflichtung der Industrie, die vor zehn Jahren eine Zwangsgebühr auf Plastiksäcke abwendete, für gescheitert.

Bei der Debatte in Kalifornien spielte auch der «grosse pazifische Müllfleck» eine Rolle: Im Meereswirbel zwischen San Francisco und Hawaii schwappt ein ständig wachsender Teppich aus Plastik-abfällen von der Grösse Zentraleuropas. Durch UV-Licht und Reibung wird Müll im Meer zwar im Lauf der Jahre zu Partikeln zerkleinert. Das aber macht die Plastiksuppe nicht besser, ist sie doch mit Farbstoffen, Weichmachern, Flammschutzmitteln und anderen Giften angereichert. Laut ForscherInnen der Algalita-Stiftung gibt es im Nordpazifik mittlerweile sechsmal mehr Plas-tikteilchen als Zooplankton.

Zu diesen «Microplastics» gab es im September an der Universität von Washington die erste internationale Konferenz: WissenschaftlerInnen warnten vor einer Gefährdung der maritimen Nahrungsketten. Bereits heute bestehen Sandstrände rund um die Welt zu beträchtlichen Teilen aus zermahlenem Plastik.

Neuer Boom Bioplastik?

Immerhin: PlastikherstellerInnen haben begonnen, nach Alternativen zu suchen. Dabei erhoffen sie sich viel von «Biokunststoffen». Diese werden aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt und sollen biologisch abbaubar, in ungiftige Ausgangsstoffe zerlegbar und möglichst CO2-neutral sein. Gemäss einer Studie des deutschen Nova-Instituts gibt es derzeit weltweit für erdölfreies Plastik eine Produktionskapazität von 265 000 Tonnen – bei einem Kunststoffverbrauch von insgesamt über 230 Millionen Tonnen. Die Zuwachsraten sind allerdings zweistellig: Im April kündig-ten auf der Verpackungsmesse in Düsseldorf verschiedene Bioplastikfirmen massive Produktionserhöhungen an.

Stärkeblends auf der Basis von Mais und Polylactide (PLA) – also Milchsäurepolymere – stellen bislang den Grossteil des produzierten Bioplastiks; von Bakterien gewonnene Polyhydroxyalkanoate (PHA) und andere Alternativen erreichen zusammen nur fünf Prozent dieses neues Markts. In gewisser Weise kehrt die Branche damit zu ihren Anfängen zurück: Bevor ab den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Mineralöl billiger wurde, waren Kunststoffe beispielsweise auf der Basis von Zellulose oder Milch fab-riziert worden.

Wie umweltfreundlich Bioplastik von der Herstellung bis zur Entsorgung tatsächlich ist, hängt von vielen Faktoren ab – und ist entsprechend umstritten. Der 2005 in Frankreich vorgestellte «Néosac» kann beispielsweise noch nicht so recht überzeugen. Ihm ist Kobalt zugesetzt – der Sack zersetzt sich zwar schnell, zurück bleibt aber Schwermetallstaub. Ähnlich verhält es sich auch mit der im Januar von US-Marktführer Hilex präsentierten Plastiktasche: Sie zerfällt zwar bei Kontakt mit Sauerstoff in acht Wochen, enthält aber ebenfalls Zusatzstoffe. Das Genfer Unternehmen Palapas Bioapply betont dagegen, seine Plastiksäcke auf der Basis von Maisstärke erfüllten die europäische Norm 13432, seien also rein pflanzlicher Herkunft, bleifrei und im Kompost in weniger als 45 Tagen vollständig abgebaut.

Die wahre Alternative

Doch wie steht es mit der Ökobilanz? Ist zum Beispiel Biopolyethylen aus brasilianischem Zuckerrohr, mit dem man die alten Kunststoffmaschinen weiterbetreiben kann, besser als europäische Biomaisstärke, die Umstellungen erfordert? Eine Untersuchung des Grossverteilers Coop fand für vier Verpackungen keine ökologischen Vorteile von Biokunststoff, bei einem PLA-Beutel sogar Nachteile. Der Verband Kompost- und Vergärwerke Schweiz mosert, dass verschiedene Bioplastiksorten erst bei Temperaturen über 60 Grad verrotten, im normalen Kompost also gar nicht.

Auch der Berner Regierungsrat hält Bioplastik nicht für sinnvoll, weil «vor allem der landwirtschaftliche Anbau (Düngung, Bewässerung, Ernte, Transport) zu einer negativen Gesamtbilanz führt». Ausserdem steht insbesondere stärkebasierte Bioplastik in direkter Konkurrenz zur Verwendung von Mais, Weizen oder Zuckerrohr als Nahrungsmittel – ähnlich wie die umstrittenen Agrotreibstoffe. Herkömmlicher Plastik sei gar nicht so schlimm, ist der Berner Regierungsrat daher überzeugt. Und selbst das Genfer Unternehmen Palapas Bioapply räumt ein, erstes Ziel müsse bleiben, den Verbrauch von Plastiksäcken grundsätzlich zu mindern: «Der derzeitige Verschleiss muss ein Ende finden.»

 

 

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